Verschiedenfarbige Weihnachtsbeleuchtung aus Lichterketten und Sternen

Angst vor Weih­nachten und die Weihnachts­depression

Was Weihnachten schwierig macht und wie du dir helfen kannst
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Inhaltsverzeichnis

Jedes Jahr wieder: das Weihnachtsgrauen

Es gibt Menschen, die freuen sich das ganze Jahr auf den Dezember. Kälte und Dunkelheit stören sie gar nicht, im Gegenteil: das macht erst die richtige Atmosphäre. Sonst kommen die Lichter und die Weihnachtsdeko nicht zur Geltung.

Dann gibt es die Menschen, die schon im Sommer Angst vorm Winter haben. Nicht nur vor der Kälte, der Dunkelheit und dem ewigen Grau, dass sich bis in den März hineinzieht. Sondern ganz besonders vor der „besinnlichen“ Weihnachtszeit.

Dezember bedeutet Stress, Anspannung, Angst und Unsicherheit. Manchmal zieht sich sogar graue zähe Schwäche in den ganzen Körper und ein Gefühl von Sinnlosigkeit legt sich über jeden Gedanken.

Falls du dich darin wiederfindest: du bist nicht alleine. Im Gegenteil, es hat sich sogar schon ein Begriff für dieses Phänomen gefunden – die Weihnachtsdepression.

Was es damit auf sich hat, erfährst du im Folgenden. „Geschenke zu kaufen und die Feier zu organisieren ist so anstrengend“, reicht als Erklärung natürlich nicht. Und darum reichen auch keine Tipps wie: „kümmere dich rechtzeitig um deine Geschenke“ und „das Fest muss nicht ja perfekt sein“.

Lass uns gemeinsam hinsehen:

Angst vor Weihnachten kann ein Symptom eines religiös begründeten Traumas u.ä. sein. Darauf werde ich in diesem Artikel nicht explizit eingehen. Die Aspekte, die psychische und familiäre Dynamiken betreffen oder die abschließenden grundsätzlichen Tipps, könnten aber auch in diesem Zusammenhang interessant sein.

Wozu überhaupt Weihnachten feiern?

Wozu eigentlich überhaupt Weihnachten? Christen feiern seit über 2000 Jahren die Geburt Jesu Christi. Das ist vielleicht relevant für dich, wenn du dich bzw. deine Familie sich dem Christentum zugehörig fühlen.

Gefeiert hat man in dieser Zeit allerdings auch schon vor Jesus: kurz vor Weihnachten liegt die Wintersonnenwende, also der Zeitpunkt, ab dem die Tage wieder langsam länger werden.

Wie auch immer, für viele Menschen ist das alles ziemlich unerheblich. Weihnachten ist einfach ein gehyptes Fest im Dezember. Man feiert es gewöhnlich mit der Familie. Es gibt Geschenke und viel zu essen.

Klingt noch relativ harmlos. Und gar nicht so relevant.

Wichtig ist das, was an Weihnachten darüber hinaus passiert. Es wird nämlich eine ganz bestimmtes Qualität von Familie und Gemeinschaft zelebriert: ein Beisammensein in Harmonie, Geborgenheit und Liebe.

Und um der Freude darüber Ausdruck zu verleihen, wird Großes aufgefahren. Wertvolle Geschenke zeugen von gegenseitiger Zuneigung. Alles drückt Fülle aus: es gibt die süßesten Leckereien, den dicksten Braten, die saftigsten Früchte. Eingehüllt in glitzernden und leuchtenden Schmuck.

Wie cool eigentlich, oder? Am Ende eines Jahres nochmal gemeinsam im Überfluss baden.

Das ist die Theorie.

Weihnachten und die Familie

Damit man etwas aus tiefstem Herzen feiern kann, muss man entsprechend empfinden.

Das beginnt ganz am Anfang: es muss Familie geben. Und wenn es sie gibt, muss man sich dort zugehörig und geborgen fühlen können, um Gemeinschaft so zu feiern. Für harmonische Gespräche muss man sich aufeinander einschwingen können. Um Liebe überhaupt auszudrücken zu wollen, muss sich eine Beziehung sicher anfühlen.

Miteinander verwandt zu sein, führt nicht automatisch dazu, so zu empfinden. Und das muss es auch nicht.

Und jetzt wird es spannend: An dieser Stelle könnte man auch einfach beschließen, das Ganze sein zu lassen. Oder eben Weihnachten nicht mit der Familie zu verbringen, der man gar nicht so nahesteht. Diejenigen, die sich an Weihnachten miteinander wohlfühlen, feiern, der Rest lässt es.

Viele Millionen Menschen in Deutschland machen das auch so. Viele andere allerdings nicht – obwohl Weihnachten für sie der reinste Horror ist.

Warum feiern so viele Menschen trotzdem zusammen, die Weihnachten eigentlich gar nicht mögen? Und egal, wie man diese Zeit verbringt: woher kommen die Angst und Traurigkeit?

Die Weihnachtslüge

Erstmal ist es gar nicht so einfach der eigenen Kultur zu entkommen. Bei einer starken religiösen Prägung kann es undenkbar erscheinen Weihnachten anders oder gar nicht zu feiern. Auch in einigen spirituellen oder esoterischen Gruppen ist das ähnlich.

Abgesehen davon – und darauf gehe ich hier primär ein –, hat sich ein Großteil unserer Gesellschaft gewissermaßen auf das „Fest der heilen Familie“ geeinigt. Da möchte man nicht zu denen gehören, die das perfekte Familienleben nicht auf die Reihe kriegen. Klappt leider selten, wie auch: man hat ja gute Gründe für die eigenen Gefühle.

Die Praxis sieht deswegen auch ganz anders aus. Das reicht von subtilem Unwohlsein bis hin zu Streit, Zwang, Missverständnissen. Unpassenden Geschenken. Essen, das nur der Hälfte schmeckt. Grelle Deko. Harmonie!? Immerhin soll es so aussehen. Deswegen auch: „nicht streiten, es ist doch Weihnachten“.

Manchmal ist es auch so, dass „früher mal“ alles schön war, nur heute nicht mehr. Vielleicht weil sich jemand getrennt hat oder gestorben ist. Dann ist die Stimmung gedrückt und alles etwas fahler. An den Ritualen ändert sich trotzdem kaum etwas. Es ist doch Weihnachten!

Kann man das nicht ändern? Die Karten auf den Tisch legen. Sich nicht zu etwas zwingen, das man nicht möchte und es für alle einfacher machen?

Sehnsucht nach Gemeinschaft

Einmal kein Weihnachten – das wäre grandios. Aber Mutter hat sich doch so viel Mühe gegeben. Und Oma freut sich immer so, wenn man gemeinsam singt. Und die Kinder erst! Also doch wieder gemeinsam feiern. Schließlich möchte man ja nicht Spielverderber*in sein.

Und weiterhin dämmert – ganz tief versteckt – oft auch in uns selbst dieser Wunsch nach einer heilen Gemeinschaft. Einer, zu der wir uns zugehörig fühlen wollen, weil sie so bereichernd ist. In der wir gesehen werden und für andere Grund zur Freude sind. Also nach genau dieser Gemeinschaft, die man an Weihnachten theoretisch feiert.

Das Ist ein Wunsch, der gut zu uns sozialen Lebewesen passt Aber viele Familien können ihn nicht erfüllen. Und auch nicht erst seit man erwachsen ist, sondern noch nie. Der Wunsch bleibt aber trotzdem und dann probiert man es halt doch nochmal: vielleicht wird es ja dieses Mal wirklich schön.

Genau hier wird Weihnachten problematisch. Alle treffen sich und versuchen die Kopie einer eigentlich echt schönen Idee mit Leben zu füllen. Für die anderen und für die eigene Sehnsucht. Und dann passiert so etwas wie das:

Angst vor Weihnachten

Stress!

Dieses Unterfangen ist ja an sich schon ziemlich heikel: alle müssen irgendwie mitmachen, sonst funktioniert es nicht. Wird jemand aus der Rolle fallen? Hoffentlich nicht.

Während du das Ganze angespannt beobachtest, musst du dich gleichzeitig noch selbst managen. Zum einen, weil du selbst ja nicht die Person sein willst, die „es“ verdirbt. Zum anderen, weil die eigenen Gefühle brodeln. Ganz besonders die Angst.

An erster Stelle die Angst davor, wieder zu werden, wie du gar nicht (mehr) bist. „Ja“ zu sagen, obwohl du „Nein“ sagen möchtest. Doch wieder über den rassistischen Witz zu lachen, weil du dich nicht traust, es nicht zu tun. Dich brav für das zehnte Paar hässliche Socken zu bedanken. Und damit wieder innerlich zu dem Kind zu werden, das du in dieser Familie mal warst – und das lange keine andere Wahl hatte außer mitzuspielen.

An zweiter Stelle steht die Angst dich grundsätzlich schlecht zu fühlen. Manchmal durch ein ganz subtiles Unwohlsein. Manchmal auch richtig heftig. Mit Herzrasen und zittrigen Beinen. Oder mit Erstarrung, flachem Atem und diesem komischen Gefühl von Taubheit im Körper und Nebel im Kopf.

Gerade, wenn du viel schwierige Dinge mit deiner Familie erlebt hast, kann das schnell passieren. Du erinnerst dich automatisch, auch auf ganz körperliche Weise, wie überfordernd es an Weihnachten bzw. mit diesen Menschen schon war. Und zack, fühlst du dich schrecklich. Das muss übrigens gar nicht bewusst passieren.

Viele Situationen laden schwierige Gefühle geradezu ein:

Weihnachten und die Gefühle

Noch mehr Angst

Alles eskaliert. Du hast Angst um dich und andere, es geht sehr aggressiv und gewalttätig zu. Vor allem nach viel Alkohol, auf engem Raum und bei heiklen Gesprächen. Egal, ob du selbst betroffen oder Zeuge*in bist: informiere dich bitte vorher schon, wenn du das befürchten musst. Rufe im Zweifel die Polizei über die 110!

Aber es genügen auch etwas weniger drastischen Situationen:

Schuldgefühle

Einen Grund für Schuldgefühle findet man immer. Alle sehen so glücklich aus und du selbst bist eigentlich nur genervt. Oder du hast nicht so tolle Geschenke. Oder du wahrst die Fassade nicht und jemand reagiert enttäuscht. Oder, oder, oder.

Scham

Von „und was machst du eigentlich?“ bis „wollt ihr nicht auch mal langsam Kinder?“: die Fragen des Grauens eines jeden Familienfests. Und dann betrinkt sich jemand noch so richtig und lallt peinliches Zeug. Am schlimmsten: du fühlst dich für die ganze Familie verantwortlich und scheiterst gnadenlos mit eurer „Happy-Christmas“-Kopie…

Wut

Witze auf deine Kosten. Dreiste Grenzüberschreitungen. Gebrochene Vereinbarungen. Die Bahn. Das Wetter. You name it.

Trauer

Trauer tritt fast immer zu irgendeinem Zeitpunkt auf: über das, was ist und das, was nicht ist, aber sein könnte. Oder über das, was mal war. Oft steckt in dieser Trauer so viel Enttäuschung.

Weihnachtsdepression

Aus all diesem Mischmasch an Herausforderungen und Gefühlen reagieren manche Menschen mit Symptomen, die typischerweise als depressiv bezeichnet werden: gedrückte Stimmung, tiefe Erschöpfung, Freudlosigkeit und kein Interesse mehr an der Welt. Gemischt mit Schuldgefühlen, Hoffnungslosigkeit und Ähnlichem fühlt sich das Leben dann richtig schlimm an – und mündet nicht selten in einem Nervenzusammenbruch.

An sich ist die Weihnachtsdepression keine offizielle Diagnose. Dazu müssten die Symptome deutlich länger bestehen als Weihnachten dauert. Die SAD, die saisonal abhängige Depression im Herbst und Winter, ist allerdings eine Diagnose. Wenn es dir sowieso im Winter schon nicht so gut geht und Weihnachten auch noch schwierig ist, kann das in einer Weihnachtsdepression den Höhepunkt finden.

Ich habe dir hier ein paar Empfehlungen zusammengestellt. Im Notfall kannst du dich immer an die Telefonseelsorge und den Krisendienst wenden.

Weihnachten ohne Angst – das kannst du tun

Nimm dich ernst.

Du hast gute Gründe für deine Gefühle. Und auch wenn ein Teil dieser Welt Weihnachten genießt, kann das für dich anders sein. Mach mal eine Bestandsaufnahme:

  • Wie wirst du dieses Jahr vermutlich Weihnachten verbringen?
  • Was wirst du genau tun?
  • Wie fühlt sich das an?

Stell dir diese Fragen nicht nur im Kopf, sondern schreib sie mal auf. Du kannst auch eine Liste anlegen, die du über mehrere Tage oder Wochen füllst. Sieh dir an, um was dich genau belastet – dann kannst du es auch einfacher verändern.

Und vielleicht findest du zwischendurch sogar das ein oder andere Element, das nicht ganz so schlimm ist und dich erleichtert.

Selbst wenn du Weihnachten nicht feierst, kann es sein, dass diese Zeit trotzdem herausfordernd ist. Selbst wenn man sich wirklich bemüht, ist es ja sehr schwierig dem Weihnachts-Trara zu entgehen. Jegliche unangenehme Erinnerung an dieses Fest hat also die besten Chancen wieder aufzutauchen – und sei es nur als subtiles Unwohlsein. Also mache am besten auch dann eine Liste.

Finde heraus, was du dir wünschst.

Weihnachten steht ja für eine ganz bestimmte Art ein Fest zu feiern:

  • Möchtest du überhaupt feiern?
  • Möchtest du so feiern?
  • Möchtest du mit deiner Familie feiern?
  • Gibt es theoretisch andere Möglichkeiten?
  • Vielleicht möchtest du Weihnachten auch einfach komplett ignorieren?

Bleibe erstmal bei der Theorie, praktische Überlegungen kannst du anschließend immer noch anstellen.

Interessante Fragen können auch sein:

  • Was hast du dir als Kind gewünscht?
  • Wie sollte sich Weihnachten anfühlen?

Oft ähneln die Wünsche von damals stark den heutigen. Nicht so sehr darin was wir machen, sondern wie wir es erleben: abenteuerlich, überraschend, warm, geborgen, besonders, aufregend. Vielleicht auch ganz anders, spür mal nach.

Von dort aus kannst du überlegen, wie du das heute als erwachsene Person für dich selbst verwirklichen könntest. Was könntest du heute mit wem erleben, dass sich ein bisschen so anfühlt? Vielleicht ist es was total „Unweihnachtliches“ ohne Familie. Du bestimmst wie deine Tage aussehen sollen.

Hast du eine Weihnachtsversion für dich gefunden, dann überleg mal, ob du etwas davon schon umsetzen kannst und möchtest. Und dann: viel Spaß beim Ausprobieren!

Bereite dich gut vor.

Egal für was du dich entscheidest, bereite dich gut vor. Wenn du weißt, dass dich Weihnachten in irgendeiner Weise runterzieht, plane das ganz bewusst ein. Sorge dafür, dass du schon in der Adventszeit besonders aufmerksam mit dir umgehst und gut für dich sorgst.

Solltest du an den Weihnachtstagen herausfordernde Situationen erwarten, mach dir einen Notfallplan: „wenn dies und das passiert, mache ich das“, „wenn ich mich so fühle, könnte mir jenes helfen“. Schreib dir alles auf und hab deine Liste griffbereit.

Du könntest sie dir z. B. in deinem Smartphone abspeichern. Wenn es schwierig wird, kannst du kurz mal damit auf der Toilette verschwinden und dich selbst daran erinnern, was jetzt gut für dich wäre.

Solltest du die Tage alleine verbringen und Angst vor Einsamkeit haben, plane auch dafür vor. Gibt es etwas, dass du unternehmen oder jemanden den du treffen könntest? Mach dir im Zweifel einen ganzen Tagesplan. Du kannst dich auch z. B. bei der Telefonseelsorge oder beim Krisendienst melden.

Wenn du Menschen hast, mit denen du gut darüber reden kannst, tu das. Falls ihr Weihnachten nicht gemeinsam verbringt, verabredet euch zum kurzen Telefonat oder schreibt einander. Sorge dafür, dass du die Brücken zu deinem „normalen“ Leben nicht abbrichst während der Feiertage.

Sorge für Raum, Zeit und Bewegung.

Sehr starke Emotionen, Stress und Niedergeschlagenheit sind anstrengend. Es ist wichtig, dass du dich immer wieder zurückziehen kannst. Sei es beim Spazierengehen oder im Bad. Hauptsache du kannst ab und zu die Arme ausbreiten und spüren, dass du Platz zum Atmen hast.

Rechne damit, dass du in der Weihnachtszeit weniger Energie-Kapazitäten frei hast als sonst. Und auch danach: gibt dir Zeit zur Erholung, erlaube dir langsam zu sein. Mach dir ein extra Wohlfühlprogramm, auch wenn es dir erstmal völlig übertrieben vorkommt.

Und vergiss bei allem Drumherum nicht, dich zu bewegen. Dein Körper hält sonst die ganze Energie fest, die er bereitstellt, wenn du Stress hast. Das führt dazu, dass es dir noch schlechter geht. Also, wenigstens einmal am Tag einen langen Spaziergang machen.

Lass dich unterstützen.

Mit überwältigenden Emotionen und viel Stress klarzukommen ist alleine oft total schwierig. Wenn du merkst, dass du immer wieder an deine Grenzen stößt und auch die offenen Ohren deiner Freund*innen nicht mehr ausreichen: Ziehe in Betracht, dich professionell beraten und begleiten zu lassen.

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